Kristiane Allert-Wybranietz
Über die
Freundschaft
...In diesem Augenblick erschien der Fuchs.
"Guten Tag", sagte der Fuchs.
"Guten Tag", antwortete höflich der kleine Prinz, der sich umdrehte, aber
nichts sah.
"Ich bin da", sagte die Stimme, "unter dem Apfelbaum..."
"Wer bist du?" sagte der kleine Prinz. "Du bist sehr hübsch...".
"Ich bin ein Fuchs", sagte der Fuchs.
"Komm und spiel mit mir", schlug ihm der kleine Prinz vor. "Ich bin so
traurig...".
"Ich kann nicht mit dir spielen", sagte der Fuchs. "Ich bin noch nicht
gezähmt!"
"Ah. Verzeihung!" sagte der kleine Prinz. Aber nach einiger Überlegung fügte
er hinzu: "Was bedeutet zähmen?"
"Du bist nicht von hier", sagte der Fuchs, "was suchst du?"
"Ich suche die Menschen", sagte der kleine Prinz.
"Was bedeutet zähmen?"
"Die Menschen", sagte der Fuchs, "die haben Gewehre und schießen. Das ist
sehr lästig. Sie ziehen auch Hühner auf. Das ist ihr einziges Interesse. Du suchst
Hühner?"
"Nein", sagte der kleine Prinz, "ich suche Freunde.
Was heißt zähmen?"
"Zähmen das ist eine in Vergessenheit geratene Sache", sagte der Fuchs.
"Es bedeutet, sich vertraut machen."
"Vertraut
machen?"
"Gewiss", sagte der Fuchs. "Noch bist du für mich nichts als ein kleiner
Junge, der hunderttausend kleinen Jungen völlig gleicht. Ich brauche dich nicht, und du
brauchst mich ebensowenig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen
gleicht. Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich
einzig sein in der Welt. Ich werde für dich einzig sein in der Welt..."
"Ich beginne zu verstehen", sagte der kleine Prinz. "Es gibt eine
Blume...ich glaube, sie hat mich gezähmt..."
"Das ist möglich", sagte der Fuchs. "Man trifft auf der Erde alle
möglichen Dinge..."
"Oh, das ist nicht auf der Erde", sagte der kleine Prinz.
Der Fuchs schien sehr aufgeregt: "Auf einem anderen Planeten?"
"Ja."
"Gibt es Jäger auf diesem Planeten?"
"Nein."
"Das ist interessant! Und Hühner?"
"Nein."
"Nichts ist vollkommen!" seufzte der Fuchs.
Aber der Fuchs kam auf seinen Gedanken zurück. "Mein Leben ist eintönig. Ich jage
Hühner, die Menschen jagen mich. Alle Hühner gleichen einander, und alle Menschen
gleichen einander. Ich langweile mich also ein wenig.
Aber wenn du mich zähmst, wird mein Leben wie durchsonnt sein. Ich werde den Klang deines
Schrittes kennen, der sich von allen anderen unterscheidet. Die anderen Schritte jagen
mich unter die Erde. Der deine wird mich wie Musik aus dem Bau locken.
Und dann schau! Du siehst da drüben die Weizenfelder? Ich esse kein Brot. Für mich ist
der Weizen zwecklos. Die Weizenfelder erinnern mich an nichts. Und das ist traurig. Aber
du hast weizenblondes Haar. Oh, es wird wunderbar sein, wenn du mich einmal gezähmt hast!
Das Gold der Weizenfelder wird mich an dich erinnern. Und ich werde das Rauschen des
Windes im Getreide liebgewinnen."
Der Fuchs verstummte und schaute den kleinen Prinzen lange an. "Bitte zähme
mich!" sagte er.
"Ich möchte wohl", antwortete der kleine Prinz, "aber ich habe nicht viel
Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge kennenlernen."
"Man kennt nur die Dinge, die man zähmt", sagte der Fuchs.
"Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgend etwas kennenzulernen. Sie kaufen sich
alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die
Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund willst, so zähme mich!"
"Was muss ich da tun?" sagte der kleine Prinz.
"Du musst sehr geduldig sein", antwortete der Fuchs.
"Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so
verstohlen, so aus dem Augenwinkel anschauen, und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist
die Quelle der Missverständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschen näher setzen
können..."
So machte
denn der kleine Prinz den Fuchs mit sich vertraut.
Und als die Stunde des Abschieds nahe war:
"Ach!" sagte der Fuchs, "ich werde weinen."
"Das ist deine Schuld", sagte der kleine Prinz.
"Bestimmt", sagte der Fuchs.
"So hast du also nichts gewonnen!"
"Ich habe", sagte der Fuchs, "die Farbe des Weizens gewonnen."
Dann fügte er hinzu:
"Geh die Rosen wieder anschauen. Du wirst begreifen, dass die deine einzig ist in der
Welt. Du wirst wiederkommen und mir adieu sagen, und ich werde dir ein Geheimnis
schenken."
Der kleine
Prinz ging, die Rosen wiederzusehn.
"Ihr gleicht meiner Rose gar nicht, ihr seid noch nichts", sagte er zu ihnen.
"Niemand hat sich euch vertraut gemacht, und auch ihr habt euch niemandem vertraut
gemacht. Ihr seid, wie mein Fuchs war. Der war nichts als ein Fuchs wie hunderttausend
andere. Aber ich habe ihn zu meinem Freund gemacht, und jetzt ist er einzig in der
Welt."
Und die Rosen waren sehr beschämt.
"Ihr seid schön, aber ihr seid leer", sagte er noch. "Man kann für euch
nicht sterben. Gewiss, ein Irgendwer, der vorübergeht, könnte glauben, meine Rose ähnle
euch.
Aber in sich selbst ist sie wichtiger als ihr alle, da sie es ist, die ich begossen habe.
Da sie es ist, die ich unter den Glassturz gestellt habe.
Da sie es ist, die ich mit dem Wandschirm geschützt habe.
Da sie es ist, deren Raupen ich getötet habe (außer den zwei oder drei um der
Schmetterlinge willen).
Da sie es ist, die ich klagen oder sich rühmen gehört habe oder auch manchmal schweigen.
Da es meine Rose ist."
Und er kam
zum Fuchs zurück.
"Adieu", sagte er...
"Adieu", sagte der Fuchs.
"Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach:
Man sieht
nur mit dem Herzen gut.
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."
"Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar", wiederholte der kleine Prinz,
um es sich zu merken.
"Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so
wichtig.".
"Die Zeit, die ich für meine Rose verloren habe...", sagte der kleine Prinz, um
es sich zu merken.
"Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen", sagte der Fuchs.
"Aber du darfst sie nicht vergessen. Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was
du dir vertraut gemacht hast. Du bist für deine Rose verantwortlich..."
"Ich bin für meine Rose verantwortlich...", wiederholte der kleine Prinz, um es
sich zu merken.